Vorarlberg verankert partizipative Demokratie

Von René Cassien
„Die Welt, wie wir sie kennen, ist im Sterben und eine neue Welt ringt, um geboren zu werden.“

Vorarlberg verankert erstmals in Europa partizipative Demokratie in der Landesverfassung

Es ist eine Neuheit in Vorarlberg und auch in Europa. Der Vorarlberger Landtag hat am 31. Januar 2013 eine Verfassungsänderung beschlossen und bekennt sich darin zur direkten sowie zur partizipativen Demokratie.

Neuheiten und Innovationen gehen häufig nicht von Zentren aus, in denen mit der Konzentration von Macht auch Konformitätsdruck und Kontrolle steigen. Der Vorarlberger Landtag hat eine Verfassungsänderung beschlossen, mit der er sich zur direkten sowie zur partizipativen Demokratie bekennt. Mit dieser Novität soll eine neue Beteiligungskultur in der dortigen Region etabliert werden. Michael Lederer, Büro für Zukunftsfragen in Vorarlberg, stellt die Besonderheit dieser Entscheidung heraus, durch die gerade auch die Dimension partizipativer Ergänzung repräsentativer Verfahren in der Landesverfassung verankert wird. Dabei hat sich schon in den letzten Jahren in Vorarlberg als eine vielversprechende Methode der partizipativen Demokratie die Institution des Bürgerrates herausgestellt…
Volltext von Michael Lederer
Vorarlberg: Direktdemokratie in Landesverfassung
Ein weiterer Aktiver, der für die Umsetzung der Direktdemokratie in Vorarlberg verantwortlich zeichnet, ist Stefan Lins.
Ich zitiere aus seiner Diplomarbeit:

Partizipative Demokratie in Österreich

Möglichkeiten zur politischen Beteiligung auf regionaler und kommunaler Ebene

Aus Einleitung
Politik beschäftigt sich ganz allgemein gesagt mit der Organisation von Gemeinschaft. Freundschaft, Familie, Nachbarschaft, Gemeinde, Bezirk, Land, Staat, Staatengemeinschaft – die moderne Welt erscheint wie eine russische Matrjoschka – in jeder Gemeinschaft steckt eine neue Gemeinschaft. Und innerhalb jeder Gemeinschaft braucht es ein Mindestmaß an Gemeinwesen, damit diese funktioniert. Schnell entwickeln sich Ordnungen und Strukturen, die eine Gemeinschaft regeln und somit auf die unter- oder übergeordnete Ebene einwirken.
Die Politik beschäftigt sich folglich mit der Gestaltung von Ordnung innerhalb jeder einzelnen Gemeinschaft. Dabei gibt es gewisse Prinzipien, nach denen die Gesellschaft organisiert werden kann. Die momentan erfolgreichste Gestaltungsform ist die Demokratie.
Auf diesen Begriff können sich beinahe alle einigen. Von den Vereinigten Staaten von Amerika bis zum lokalen Bürgermeister erfreut sich die Demokratie großer Beliebtheit, zumindest beziehen sich alle gerne auf sie. Die Organisation der unterschiedlichen „demokratischen“ Gemeinschaften unterscheidet sich jedoch gravierend. Demokratie braucht also eine nähere Bestimmung und diese ist unausweichlich mit der Geschichte verbunden.
Gemeinsam mit den Umständen verändert und entwickelt sich auch die Theorie, was denn eine demokratische Gesellschaftsordnung ausmacht. Ein Staat, der vor 150 Jahren als demokratisch galt, würde heute diese Bezeichnung nicht mehr verdienen. Selbst im modernen westlichen Industriestaat verändert sich die Demokratietheorie fortlaufend.
Die momentanen Systeme der westlichen Industrienationen kämpfen mit einem zunehmenden Legitimitätsproblem. Die Politikverdrossenheit drückt sich durch eine sinkende Wahlbeteiligung, Mitgliederverluste von Parteien und Verbänden und politisches Desinteresse aus. Ein globalisiertes Bewusstsein lässt die Einflussmöglichkeiten des Individuums immer kleiner erscheinen. Frustration und Enttäuschung paaren sich mit individueller Machtlosigkeit.
(RC: 91 % der Deutschen sind mit der heutigen Politik unzufrieden.)
Periodische Wahlen stellen dabei kein ausreichendes Mittel der politischen Beteiligung dar. Populistische Parteien machen sich das Defizit zu Nutzen und fordern absurder Weise mehr direkte Demokratie, was zu der Frage führt, ob eine direkte Beteiligung der Bevölkerung wirklich auf allen gemeinschaftlichen Ebenen möglich und wünschenswert ist. Es gibt viele geschichtliche Beispiele, die Skepsis aufkommen lassen. In der jüngsten Vergangenheit zeigen die Referenden zum EU-Verfassungsvertrag in Frankreich und Irland die Probleme im Zusammenhang mit Volksentscheidungen.
Doch wird mit dem reinen Verweis auf Funktionalität das politische Legitimitätsdefizit genauso wenig gelöst wie durch hetzerische Aufrufe zu Volksabstimmungen.
Der Kern des Problems beginnt im Fundament des gesellschaftlichen Aufbaus. Im Freundeskreis, in der Familie, bei der Arbeit, in der Gemeinde; im direkten Lebensbereich der Menschen also.
Ich will natürlich nicht den starken Einfluss von übergelagerten Ebenen leugnen, doch verständliche und nachhaltige Entwicklungen zu einer demokratischen Kultur müssen von den untersten Ebenen getragen werden.
Die partizipative Demokratietheorie, mit der ich mich in der Arbeit beschäftige, hat besonders in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts breite Zustimmung genossen und war Anstoß für eine Demokratisierung der Gesellschaft. In den folgenden Jahrzehnten verschwand sie mehr und mehr aus dem Bewusstsein von Wissenschaft und Zivilbevölkerung. Vereinzelt erschienen Publikationen, doch Umsetzungen in der Politik folgten wenige. In den letzten Jahren erscheinen Beteiligungsmodelle wieder mehr im Kommen zu sein. Die „Zivilgesellschaft“ und „BürgerInnen“ nehmen wieder eine wichtigere theoretische Rolle ein.
„Selbstorganisation“ und „Subsidarität“ sind weitere Schlagworte der jüngsten Vergangenheit.
In Österreich kommt es besonders auf Gemeinde- und Landesebene zu unterschiedlichen partizipativen Verfahren. Von aktivierenden Befragungen, BürgerInnenversammlungen, Fokusgruppen, Internet-Partizipation, Konsensus-Konferenzen, kooperativen Diskursen, Planungszellen, runde Tische, Workshops, Zukunftskonferenzen bis zu Zukunftswerkstätten bestehen viele Möglichkeiten der Beteiligung auf lokaler und kommunaler Ebene. Ein einheitlicher theoretischer Hintergrund ist dabei nicht erkennbar.
Mehr hat es den Anschein, als ob die Effektivität der Verfahren und die steigende politische Apathie, Ausgang für die Modelle sind.
In der Arbeit will ich in Theorie und Praxis der Frage nachgehen, ob die partizipative Demokratie zu einer besseren Organisation des Gemeinwesens führt.
Aus Schlussbemerkung
Auffallend dabei ist der Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Was sich in der Theorie wunderbar umsetzen lässt, trifft in der Realität auf strukturelle Vorgaben, die nicht immer einfach geändert werden können. Dies betrifft die gesetzliche Lage genauso, wie politisch kulturell gewachsene Traditionen, deren Änderung keine kurzfristige Angelegenheit ist. Ein einheitlicher theoretischer Hintergrund macht für eine normative Rechtfertigung sicherlich Sinn, je konkreter eine theoretische Handlungsanweisung jedoch ist, desto weniger kann sie auf praktische Gegebenheiten umgelegt werden. Keine Situation tritt zweimal ein.
Ein generelles Wundermittel der partizipativen Demokratie gibt es nicht. Das repräsentative System zu durchbrechen und eine Partizipations- und Diskurskultur zu etablieren, kann daher nicht der Anspruch eines einzelnen Projektes oder Verfahrens sein, aber es kann Teil einer Bewegung sein, die die Begrenztheit des Systems erkennt und neue Formen der politischen Beteiligung entstehen lässt, in denen gemeinschaftlich Probleme gelöst werden.
Die von mir untersuchten Modelle der partizipativen Demokratie spiegeln diese Aussage in gewisser Weise wider. Trotz der Probleme, die beide Modelle aufweisen und die starke Abweichung von den theoretischen Anforderungen der partizipativen Demokratietheorie, können sie dennoch als ein wertvoller Anfang gesehen werden. Beteiligte BürgerInnen und besonders die Verwaltung und Politik sammeln erste Erfahrungen mit partizipativen Möglichkeiten. Das Integrationskonzept und der BürgerInnenrat haben ein sehr gutes theoretisches Ergebnis hervorgebracht, was die langfristige Effizienz von politischer Beteiligung unterstreicht. Bei der Umsetzung ist der mangelnde Machttransfer an die Zivilgesellschaft ein Grund für die Unzufriedenheit. Eine sich selbst organisierende Zivilgesellschaft, die bindende Entscheidungen für die Politik trifft, ist wohl noch in weiter Ferne. Der Druck auf die Politik Verfahren zu institutionalisieren, die BürgerInnen mindestens eine Mitsprache ermöglichen, wird jedoch immer höher. Und wo dauerhaft mitgesprochen wird, ist der Schritt zu einer Entscheidungsabgabe bereits wesentlich kleiner.
Die Formen der Partizipation sind überaus vielfältig und betreffen alle möglichen Gesellschaftsbereiche. Soll es zu einem gesamtgesellschaftlichen Umdenken kommen, so ist es notwendig, dass Verfahren sich nicht nur auf die Politik beschränken, sondern sich auch in der Familie, in Freundeskreisen und in der Arbeitswelt eine Partizipationskultur etabliert.
Der Anfang dazu liegt in Projekten wie in Tirol und in Wolfurt.
(Hervorhebungen im Text durch RC)

 

Über Akademie Integra

Als ich wusste, dass ich nicht wusste, was ich nicht wusste, hat mich die geistige Führung endgültig an den Rand der Verwirrung gebracht. Doch ich machte weiter, ...bis ich endlich fand!
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Eine Antwort zu Vorarlberg verankert partizipative Demokratie

  1. bmeixen schreibt:

    Reblogged this on Gemeinde Eixen und kommentierte:
    Es gibt mehr als das aktuelle System, bilden lohnt sich.

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