Du zwischen Ich und Wir (Vom radikalen Ich zum Wir)

Auszüge aus einem Gespräch des Forums integrierte Gesellschaft; von Kai Ehlers
… das war eine aufregende Tour „Vom radikalen Ich zum Wir“. – Um es gleich zu sagen: Wir haben das radikale Ich zwar umkreist, sind aber unvermeidlich beim „Du“ zwischen „Ich“ und „Wir“ als nächstem Schritt angekommen, weil offenbar kein anderer Weg zum Wir führt, jedenfalls nicht zu einem freien, selbstbestimmten Wir. …
Das Gespräch entwickelte sich auf der Basis eines einleitenden Kurz-Referates über Max Stirners „Der Einzige und sein Eigentum“, ein Werk, das seit seinem Erscheinen Empörung, Mißverständnisse und falsche Zustimmungen en masse hervorgerufen hat. … Stirner führt schlicht gesagt, die Linien der Aufklärung und der französischen Revolution bis ins Radikale – aber nicht wie Marx/Engels in die klassenbezogene Revolution, sondern auf der Seite Nietzsches ins konsequent, radikal zu Ende gebrachte Individuelle. Eine äußerst interessante Konfrontation!
Ich zitiere hier nur den letzten Satz aus Stirners Einleitung, der programmatisch ist:
„Das Göttliche ist Gottes Sache, das Menschliche Sache ‚des Menschen’. Meine Sache ist weder des Göttliche, noch das Menschliche, ist nicht das Wahre, Gute, Rechte, Freie usw. sondern allein  das Meinige, und sie ist keine allgemeine, sondern ist – einzig, wie Ich einzig bin. Mir geht nichts über Mich!“
Die öffentliche Auseinandersetzung mit Stirner blieb sehr – vorsichtig gesprochen – verhalten: Praktisch alle bedeutenden Denker seiner Zeit haben sich nachweislich mit ihm beschäftigt, besonders hervorzuheben Marx, Engels, Nietzsche, aber nichts zu ihm veröffentlicht. Es blieb Rudolf Steiner vorbehalten sich zu dem Ich-Verständnis Stirners zu bekennen und dem „Ich“ den Platz als „Ebenbild des Weltengrundes“ zuzuweisen.
Heute geht durch dieses Steinersche Ich nicht nur die radikale aufklärerische Vernunft, sondern der ganze Mensch – Gefühle, Glaube, Erkenntnis, Handeln…
Von diesen radikalen Positionen zum Ich ausgehend, tastete sich unser Gespräch zu der Frage vor, was denn dieses Ich sein mag, wie es zustande kommt, wo seine Grenzen liegen. Das will ich hier nicht alles wiederholen. …
Nur soviel: Eine interessante aktuelle Grenze der Ichfindung trat uns mit der der virtuellen Welt der „gamer“ entgegen. Beschränken die Computerspiele (aller möglichen Art) die Ichbildung – oder erweitern sie sie?
Dies führte zunächst zu der Frage, wo die Ich-Bildung beginnt – sammeln, ordnen, die Welt begrifflich erfassen, den eigenen Ort als sich selbst und niemandem anderen gehörend definieren. Aber dann gleich die nächste Frage, wo das Ich sich verliert – schon bei der Bewußtlosigkeit, bei fortschreitender Demenz, in geistiger Behinderung oder Einschränkungen? Ist das Ich auch ein Gefühlsraum? Unstreitig schien uns, das das Ich der Ort der beständigen Wechselwirkung von Welt und Geist ist – bewegt und beständig zugleich.
Die Frage der „gamer“ führte aber auch zum Problem des Gegenübers, des DU, ohne das ein Ich seine Grenzen nicht definieren kann. Aber was ist das Du? Nur ein anderer Mensch? Oder auch die Welt in ihren verschiedenen Facetten?
Hier stehen wir also mit vielen offenen Fragen und laden Euch herzlich ein, Euch am Fortgang dieses Findungsprozesses zu beteiligen. Das Ziel? Wir möchten gern genauer erkunden, was es mit der Möglichkeit auf sich hat, ebenbürtige Beziehungen zwischen den Menschen herzustellen und zu leben und welche Formen es dafür geben kann.
… das sei dann hier gleich deutlich gesagt, hat die Befassung mit dem Du zwischen Ich und Wir doch einiges sehr hervortreten lassen, was unter der Frage des radikalen Ich nicht allein hätte erfaßt werden können.
Gehen wir gleich in den Kern dessen, was uns im Gespräch entgegentrat:
Ein Du als Du zu erkennen setzt ein Ich voraus. Ein Ich, das kein Du erkennt, bleibt farblos, konturlos, ohne Charakter. Ein Ich bekommt Kontur, wenn es ein Du oder auch mehrere Du`s erkennt. Erst in der Beziehung vom Ich zum Du entsteht Verantwortung – eben Beziehung. Beziehung ist Leben. Über das Du ist selbstverständlich auch das Wir vermittelt. Ohne Du und im Weiteren ohne Wir ist das Ich nicht real.
Das klingt alles ganz selbstverständlich und banal. Aber wie banal diese Beziehungen vom Ich zum Du, vom Du zum Wir auch sein mögen – so liegt in ihrer Gestaltung doch das Kernproblem unseres Lebens. Es geht letztlich, so stand es nach einigen Umkreisungen des Themas zu unserer Verblüffung einfach und klar im Raum – um Liebe. Und zwar, um das noch deutlicher zu sagen, geht es nicht nur um Beziehungen, nicht nur um Kommunikation, nicht nur um Emotionale Bindungen und wie diese Vokabeln heute alle heißen, es geht ganz ausdrücklich um Liebe. – Liebe zum nächsten Du, Liebe zu vielen Du´s, Liebe zum Wir.
Aber was heißt Liebe? Sprechen wir von „Romantik“? Sicher auch. Es gibt keinen Grund, die Liebesbeziehungen zwischen Mann und Frau schamhaft auszuklammern. Aber es geht natürlich auch noch um mehr. Es geht darum, das Leben als Geschenk zu begreifen, das wir Menschen uns gegenseitig machen können. Und noch mehr: Nicht nur wir Menschen beschenken uns gegenseitig mit Leben, auch Pflanzen, Tiere und die erweiterte Umwelt beschenkt uns mit Leben. Und auch noch dies: Auch die von uns erschaffene zweite Natur, die Welt unserer Werkzeuge, Apparate bis hin zur elektronischen Technik, bereichert uns, steht in Beziehung zu uns. Lieben wir Pflanzen, Tiere, Umwelt? Lieben wir unsere technischen Helfer? Das heißt, verbinden wir uns wirklich mit ihnen, so wie wir uns miteinander verbinden? Übernehmen wir wirklich Verantwortung? Erkennen wir an , daß wir verbunden sind miteinander, mit der natürlichen Welt und auch mit der Technik und bekennen wir uns dazu, in dieser Verbindung zu leben, ja, nur dann zu leben, wenn wir in Verbindung gehen?
Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst ist wohl die grundlegendste Lebensregel. Aber zum Nächsten gehört wohl nicht nur das menschliche Du. Auch die belebte Welt ist ein Du. Auch die Technik ist ein Du für mich, für Dich, für uns.
Ich muß gestehen, wir waren schon recht erstaunt, als wir uns unversehens vor diesen einfachen Grundwahrheiten sahen. Wollen wir diese Tatsache als Erkenntnis in uns hineinlassen, daß das Ich nur – dieses Nur steht in Anführungszeichen – also, daß es nur wirklich ist, wenn es liebt? Also, das Du liebt, das Wir und die Welt?
Was ist mit den Dus, die uns zuwider sind? Was ist mit den Wir´s, die uns bedrängen, einschnüren oder als Ich gar auslöschen wollen? Was ist mit der Welt, gleich ob Pflanzen, Tieren oder auch der von uns geschaffenen Technik, wenn sie gegen uns wirkt, wenn sie uns feindlich gesinnt sind? Lieben wir sie dann trotzdem? Ist die christliche Forderung, auch die rechte Backe hinzuhalten, wenn die linke geschlagen wurde, nicht eine Phantasterei?
Ja, sicher, wenn wir Liebe als Umarmung oder emotionale Zuneigung begreifen. Ein anderes ist es, wenn wir Liebe als bewußte Hinwendung zum Lebendigen begreifen, als Kraft, als Willen, als Wunsch und als Bereitschaft, Leben in all seinen Formen und zu allen Zeiten zu schaffen, zu fördern, zu schützen und in gegenseitiger Hilfe weiter zu entwickeln – ohne sich dabei als Ich zu verleugnen, sondern im Gegenteil genau in dieser Haltung erst zum ich zu werden.
Ich lasse es mal bei diesen Assoziationen. Der Raum dieses Themas ist unendlich.
… Es war gut zu hören, daß all die Fragen, die sich auf dem Weg vom Ich über das Du zum Wir stellen, am Eingangstor zur Bildung einer neuen Gemeinschaft ebenso stehen wie sie sich auch außerhalb eines solchen Prozesses für jeden uns unter anderen Umständen stellen. Bei dem Versuch einer Gemeinschaftsbildung treten sie nur unmißverständlicher hervor.
Originaltext

 

Über Akademie Integra

Als ich wusste, dass ich nicht wusste, was ich nicht wusste, hat mich die geistige Führung endgültig an den Rand der Verwirrung gebracht. Doch ich machte weiter, ...bis ich endlich fand!
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