Die Neurowissenschaft der Meditation

von Dr. Manuela Lenzen aus „das gehirn“

Von der Dichte der grauen Substanz bis zu den Neurotransmittern: Meditation verändert das Gehirn. Emotionen, Aufmerksamkeit und Introspektion, selbst Mitgefühl können mit ihrer Hilfe trainiert werden, wie Weitsprung oder Radfahren.

Im Waisman Laboratory for Brain Imaging and Behavior in Wisconsin-Madison bietet sich ein ungewöhnliches Bild: Ein buddhistischer Mönch sitzt auf der Liege eines Hirnscanners (MRT) und rafft sein orange-rotes Gewand zusammen. Er wird Richard J. Davidson und sein Team mit modernstem Gerät zusehen lassen, was in seinem Gehirn geschieht, während er eine uralte Meditationstechnik praktiziert. Aus der Esoterik-Ecke ist die Meditation längst heraus. Nicht nur im Rahmen der kognitiven, affektiven und sozialen Neurowissenschaften gilt sie als seriöser Forschungsgegenstand. Auch immer mehr Ärzte und Psychologen setzen Meditationspraktiken ein, um ganz unterschiedliche Krankheiten zu therapieren oder ihre Therapie zu unterstützten, von chronischem Schmerz über stressbedingte Entzündungsreaktionen bis zu Depressionen.
„Mit der Meditation haben wir selbst die Möglichkeit, den Geist zu trainieren und unsere Gesundheit zu fördern“, sagt die Psychologin Britta Hölzel, die sich mit den neuronalen Korrelaten der Meditation befasst. Die Regulation von Emotionen, Aufmerksamkeit und Introspektion, selbst Mitgefühl und Zugewandtheit sind demnach Fähigkeiten, die trainiert werden können, wie Weitsprung oder Radfahren.
Keine fest verdrahtete Maschine
Dies ist möglich, weil das Gehirn keine starr verdrahtete Maschine ist. Es verändert sich mit den Erfahrungen, die wir machen. So ist etwa bei Musikern und sogar bei Menschen, die viele SMS schreiben, der Bereich der Gehirns, in dem die stark gebrauchten Finger repräsentiert sind, vergrößert. Neuronale Plastizität nennen Forscher dieses Phänomen.
Die ersten EEG-Studien mit Yoga-Meistern in Indien und Zen-Buddhisten in Japan stammen aus den 1950er-Jahren. In den 1970ern suchten amerikanische Forscher nach den Effekten der Transzendentalen Meditation, die damals in den USA en vogue war. Heute steht den Forschern neben dem EEG die Magnetresonanztomografie, der „Hirnscanner“, zur Verfügung. Seit der Jahrtausendwende erlebt die Neurowissenschaft der Meditation nun einen regelrechten Boom. „Das ist mir schon fast unheimlich“, gesteht Britta Hölzel.
Die Psychologin, die im Labor von Sara Lazar an der Harvard Medical School forschte – heute arbeitet sie an der Charité in Berlin –, konnte mit ihrer Arbeitsgruppe zeigen, dass schon ein achtwöchiges Trainingsprogramm in Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR) deutliche Spuren im Gehirn hinterlässt. MBSR ist ein Meditationsprogramm, das Elemente aus Yoga und Buddhistischer Meditation aufgreift. Es lehrt, sich auf den gegenwärtigen Moment zu konzentrieren und ihm mit einer Haltung der Offenheit und des Nicht-Urteilens zu begegnen. Nach dem Trainingsprogramm hatte bei den Versuchspersonen die Dichte der grauen Substanz unter anderem im Hippocampus zugenommen. „Das ist ein Teil des limbischen Systems und wichtig für das Gedächtnis und die Regulation der Erregung in emotionalen Situationen“, erklärt Hölzel.
Mitgefühl kann man lernen
Mithilfe eines Spiels aus dem Repertoire der Spieltheorie konnten Helen Y. Wang und Kollegen aus dem Labor von Richard J. Davidson zeigen, dass ein lediglich zweiwöchiges Training auf Mitgefühl für andere Menschen die Probanden altruistischer handeln ließ. Die Versuchspersonen trainierten 30 Minuten pro Tag ihr Mitgefühl für eine nahestehende Person, einen Fremden, eine schwierige Person und für sich selbst. Vor und nach dem Übungsprogramm wurde ihre Hirnaktivität mit funktioneller Magnetresonanztomografie gemessen. Verglichen wurde mit einer Kontrollgruppe, die statt des Mitgefühlstrainings Übungen zur Neubewertung von persönlichen Stresssituationen durchlief. Im Anschluss an das zweiwöchige Training mussten die Probanden beider Gruppen ein Verteilungsspiel spielen, bei dem ihre Bereitschaft getestet wurde, mit dem eigenen Geld auszugleichen, wenn ein anderer Geld unfair verteilte. Dabei zeigte sich, dass die Probanden der Mitgefühlsgruppe signifikant mehr Geld für andere einsetzten. Dies ging mit einer im Vergleich zu der Zeit vor dem Mitgefühlstraining stärkeren Aktivität im inferioren parietalen Cortex und im dorsolateralen präfrontalen Cortex einher. Beide Hirnregionen werden mit sozialer Kognition und Emotionsregulation in Verbindung gebracht. Mitgefühl und Altruismus sind also keine Eigenschaften, die eine Person hat oder nicht hat, man kann sie einüben, so die Autoren der Studie. Zudem berichteten die Probanden von größerem Wohlbefinden, geringeren Stressreaktionen und besserer allgemeiner Stimmung. Vom Mitgefühlstraining profitieren also nicht nur die Mitmenschen.
Die Effekte der Meditation lassen sich auch in der Konzentration der Neurotransmitter nachweisen. Chris C. Streeter, Perry Renshaw und Kollegen ließen eine Gruppe von erfahrenen Yoga-Meditierenden eine Stunde lang Yoga-Übungen machen, einer Kontrollgruppe verordneten sie eine einstündige Ruhephase. Sie fanden in der Yoga-Gruppe nach den Übungen eine um 27 Prozent erhöhte Konzentration des Neurotransmitters GABA. Dieser wirkt entspannend und vermindert Angstgefühle. Bei der Kontrollgruppe konnten sie keine Veränderung messen.
Antoine Lutz, der ebenfalls im Labor von Richard J. Davidson arbeitete – heute ist er am Lyon Neuroscience Research Center –, interessiert sich besonders für die neuronalen Korrelate des Zustands geistiger Klarheit, von dem erfahrene Meditierende berichten. Er fand, dass diese Meditationsexperten während der Meditation kräftige Oszillationen im Bereich der Gamma-Wellen hervorrufen können. Diese Hirnfrequenzen haben mit Lernen und der Synchronisation verschiedener Hirnbereiche zu tun. Die Forscher stellten nicht nur fest, dass sich die Oszillationen bei den Experten während der Meditation stark von denen von Anfängern unterschieden, sondern auch, dass die Grundaktivität vor Beginn der Meditation bei den Experten höher ist als bei den Anfängern.
Meditieren gegen den Schmerz
Meditationstechniken, die darauf zielen, einen offenen Geisteszustand zu erlangen, der wahrnimmt, ohne zu bewerten, können auch bei der Schmerzbekämpfung helfen. Sie führen paradoxerweise dazu, dass der Schmerz lebhafter wahrgenommen wird und trotzdem weniger weh tut. Die Gruppe um Antoine Lutz und Richard J. Davidson verabreichte Meditationsexperten, während sie im Hirnscanner meditierten, schmerzhafte Hitzereize am Arm. Nach dem Ende des Reizes sollten die Probanden auf einer Skala bewerten, wie schmerzhaft er war. Sie bewerteten die Reize als weniger schlimm als eine Kontrollgruppe. Dabei zeigten ihre Gehirne erhöhte Aktivität in der anterioren Insula und dem anterioren cingulären Cortex. Diese bilden das „salience network“, das dazu dient, die wichtigsten unter den vorhandenen Stimuli zu identifizieren. Zugleich maßen die Forscher eine geringere Grundaktivität in diesen Bereichen und in der Amygdala vor dem Einsetzen des Schmerzreizes. Dieser Effekt war umso stärker, je erfahrener die Probanden im Meditieren waren. Zugleich zeigten die meditationsgewöhnten Gehirne eine schnellere neuronale Habituation: Sie gewöhnten sich schneller an den Schmerzreiz, ihre Reaktion schwächte sich ab. Es gibt viele Möglichkeiten, wenn schon nicht den Schmerz selbst, so doch die Schmerzempfindung zu mildern. Die Meditation hat den Vorteil, dass sie jedem, der sie erlernt hat, jederzeit und überall zur Verfügung steht.
Jenseits des medizinischen Nutzens haben auch einige Philosophen längst Interesse an der Meditation angemeldet. „Ich verstehe nicht, wie die Philosophie des Geistes dieses Thema jahrzehntelang ausblenden konnte“, sagt der Mainzer Philosoph Thomas Metzinger. Er setzt auf die Fähigkeit der Meditierenden, stabile und reproduzierbare mentale Zustände hervorzurufen und sie klar zu beschreiben, um das Phänomen Bewusstsein besser zu verstehen. Und er ist überzeugt, dass Meditieren selbständiger und freier im Kopf macht: „Meditation erhöht die geistige Autonomie.“
Mit dem Hirnscanner gegen die Skeptiker
Doch nicht alle sind vom aktuellen Boom der Neurowissenschaft der Meditation nur begeistert. Britta Hölzel etwa fürchtet ein Strohfeuer, das rasch erlöschen könnte, wenn jetzt unrealistische Erwartungen geschürt und dann enttäuscht würden. Andere fragen, warum wir überhaupt eine neurowissenschaftliche Erklärung für ein Phänomen benötigen, das seine Wirksamkeit schon seit Jahrhunderten unter Beweis stellt. Doch diesen Einwand lässt die Meditationsforscherin nicht gelten. „Zum einen geht es darum, aus der Vielfalt der Meditationspraktiken das herauszusuchen, was für die gewünschte Anwendung am besten geeignet ist“, erklärt Hölzel. Denn die ganz unterschiedlichen Techniken vom Drehtanz der Sufis über das T’ai Chi bis zur buddhistischen Meditation sprechen vermutlich auch ganz unterschiedliche Gehirnregionen an. Zudem sind die Meditationstechniken im asiatischen Kulturkreis entstanden und eng mit diesem verwoben. Es sei nicht unbedingt sinnvoll, alle ihre Elemente in die westliche Welt zu übertragen.
„Zum anderen geht es uns darum, den Geist besser zu verstehen. Dafür kann die Meditation einen wichtigen Zugangsweg liefern“, so Hölzel. Und ein wenig geht es auch um die Reputation: „Natürlich fällt es Menschen, die Meditation für eine esoterische Angelegenheit halten, leichter, sich auf sie einzulassen, wenn es eine naturwissenschaftliche Erklärung für ihre Wirkungsweise gibt“, ist Hölzels Erfahrung. An dieser Erklärung arbeiten die Forscher zurzeit mit Hochdruck.
zum Weiterlesen:
Dr. Britta Hölzel Diplom-Psychologin, Mindfulness practice leads to increases in regional brain gray matter density, Psychiatry Res, 191(1):36-43 2011 Jan 30, zum Text
Dr. Britta Hölzel Diplom-Psychologin, Neural mechanisms of symptom improvements in generalized anxiety disorder following mindfulness training, Neuroimage: Clinical 2:448-458 2013, zum Text
Homepage von Britta Hölzel mit Links zu ihren Arbeiten, URL: http://www.nmr.mgh.harvard.edu/~britta/ [Stand: 20.11.2013], zur Webseite
Antoine Lutz, Meditation and the Neuroscience of Consciousness, Zelazo Philip David et al (Hg.), Cambridge Handbook of Consciousness, Cambridge 2007, zum Text
RJ Davidson, Antoine Lutz, Buddha’s Brain, Neuroplasticity and Meditation, Signal Processing IEEE Signal Process Mag, 25(1):176–174 2008 January 1, zum Text
Meditationsforschung im Labor von Sara Lazar,URL: http://www.nmr.mgh.harvard.edu/~lazar/ [Stand: 20.11.2013], zur Webseite
Waisman Laboratory for Brain Imaging and Behavior, URL: http://brainimaging.waisman.wisc.edu/ [Stand: 20.11.2013], zur Webseite
Originaltext
Zur Ergänzung: „Atme tief …

Über Akademie Integra

Als ich wusste, dass ich nicht wusste, was ich nicht wusste, hat mich die geistige Führung endgültig an den Rand der Verwirrung gebracht. Doch ich machte weiter, ...bis ich endlich fand!
Dieser Beitrag wurde unter Éthnos, Bewußtsein, Entfaltung der Menschenwürde, Kultur-Leben, Menschenwürde, Soziales Leben, Transformation, Zum Aufwachen veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

3 Antworten zu Die Neurowissenschaft der Meditation

  1. Pingback: Atme tief … | Akademie Integra

  2. Pingback: Wahrnehmen und annehmen – wie Meditieren heilt | Akademie Integra

  3. Pingback: Achtsamkeit im Alltag | Akademie Integra

Hinterlasse einen Kommentar